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Noch mehr über die Fahrt findet man auf der Taskcard hier!

Weimar – eine kleine Stadt im Osten Deutschlands, geprägt durch Goethe und Schiller. Ich laufe durch die Straßen an einem kalten Mittwoch und nehme wahr, wie mir auf jedem Meter ein weiteres Denkmal den Raum bietet, kurz stehen zu bleiben. Denn nur wenige Kilometer entfernt befindet sich auf dem Ettersberg ein Ort von ganz anderer historischer Bedeutung.

Im März unternahmen 22 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 und 11 mit Frau Wellmann und Frau Timmer eine Exkursion zum ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald in Thüringen. Während dieser vier Tage hatten wir das besondere Privileg, uns gemeinsam mit einem Historiker intensiv mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen und die Atmosphäre dieses Ortes zu erleben. Die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes waren von einem derartigen Ausmaß, dass es unmöglich ist, sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Doch eines ist mir bewusst: Ich habe eine Stimme und es ist meine Verantwortung sie zu nutzen.

Während unseres Aufenthalts hatten wir die Gelegenheit, das gesamte Lagergelände zu besichtigen, das Museum auf dem Gelände zu besuchen und uns in offenen Diskussionen mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Diese intensive Beschäftigung mit der Geschichte hat uns allen verdeutlicht, wie essenziell das Erinnern und das Bewahren des Gedenkens für die Zukunft ist. Gleichzeitig bot sich jeder und jedem von uns die Möglichkeit, individuelle Schwerpunkte zu setzen und sich vertieft mit verschiedenen Aspekten dieses Kapitels der Vergangenheit zu befassen. Wir freuen uns unglaublich darauf, unsere Projekte am SOR – Tag vorzustellen. Die Ausstellung findet am 11. April statt, das ist genau 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch US-amerikanische Truppen.

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Der blaue Osten

Warum beschäftigen wir uns noch mit Hitler und den Nazis? Wer die Ergebnisse der Bundestagswahl gesehen hat, weiß: Der Osten ist blau. Die AfD und der konservative Rechtspopulismus zeigen, wie leicht einige doch zu beeinflussen sind. Die Abgeordneten der Alternative für Deutschland sitzen nun in großer Zahl im Bundestag – unter ihnen auch Mathias Helferich, der sich selbst als „das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“ bezeichnet. Er ist einer der engen Vertrauten von Björn Höcke, dem mittlerweile der Zutritt zur Gedenkstätte verwehrt ist, nachdem er 2017 mit unangemessenem Verhalten Aufsehen erregt hat. Im Januar selben Jahres in Dresden nannte er die Erinnerung an die Verbrechen eine „dämliche Bewältigungspolitik“ und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Dies ist auch kein Einzelfall, auch der ehemalige AfD – Partei und Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland sagte bei einem Treffen der JA in Thüringen 2018: „Hitler und die Nationalsozialisten sind nur ein Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“

Viele Menschen wollen sich nicht mehr erinnern – das ist uns besonders während unseres Aufenthalts aufgefallen. Während wir uns intensiv mit dem Thema auseinandersetzten, haben wir gemeinsam gelacht und geweint, im wahrsten Sinne des Wortes. Als ich am Ende des Ausflugs eine Rede an einem Gedenkstein halten durfte, wusste ich, dass ich diesen Ort niemals vergessen werde. Jeder von uns wurde auf seine eigene Weise von dieser Erfahrung geprägt – und das ist auch okay so. Zur selben Zeit konnten wir zwei junge Männer beobachten, sie trugen schwarze Springerstiefel und die Reichsflagge auf einem Armband um ihr Handgelenk. Sie liefen zum Tor mit der Aufschrift “Jedem das Seine“ und lachten, während sie für ein Selfie posierten. Uns wurde schnell erklärt, dass dies kein Einzelfall ist. Primär in Thüringen, wo die AfD und andere rechtsextreme Parteien sehr präsent sind, wollen die Menschen eines: keinen Schuldkult. Dabei gibt es nichts wie einen Schuldkult, wir tragen keine Schuld für die Verbrechen der Nazis. Dafür tragen wir aber Verantwortung, die Geschichten der Opfer weiterzuerzählen, Gedenkstätten zu unterstützen und vor allem dafür zu sorgen, dass sich diese Geschichte nicht wiederholt. Man könnte für die Roma und Sinti, Juden und Jüdinnen, Queeren, politischen Gegnerinnen und Gegner und Millionen mehr Menschen niemals 100% Gerechtigkeit erreichen. Diesen Menschen wurde alles genommen – ihre Kleidung, Gegenstände und ihre Haare. Die Nazis beraubten sie ihrer Privilegien, ihrer Identitäten und schlussendlich ihrer Leben. Im Namen der Opfer dieser grausamen Tat sollten wir niemals aufhören, über sie zu sprechen, auch wenn wir die Geschichte nicht rückgängig machen können.

Internationale Zusammenarbeit

Am 11. April 1945 befreiten US–amerikanische Truppen das Konzentrationslager Buchenwald. Fast 80 Jahre später durften wir super liebe und engagierte amerikanische Journalist:innen der Washington State University kennenlernen, die sich nicht nur gut mit Frau Wellmann und Frau Timmer verstanden haben, sondern auch mit uns Schüler:innen und Interviews führen wollten. Die Erinnerungskultur so wie sie uns bekannt ist, ist nicht nur ein europäisches Phänomen. Sie beschränkt sich nicht nur auf die Perspektive der Opfer, sondern auch die Befreier – in diesem Fall die Amerikaner – gedenken dieser Zeit. Neben dem unermesslichen Leid der Opfer war die Befreiung des Lagers auch für die ankommenden US-Soldaten eine traumatische Erfahrung.

Am vorletzten Tag unserer Fahrt haben wir gemeinsam gegessen und uns unterhalten, schon da waren ein paar Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten klar. Während die USA Donald Trump mit seinem Vizepräsidenten JD Vance und Elon Musk hat, haben wir die AfD. Denn es stellt sich heraus, der Rechtsruck ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Dennoch haben wir Differenzen festgestellt, nämlich in Bezug auf das Curriculum zum Nationalsozialismus in der Schule. Während wir das Thema sehr ausführlich und intensiv besprochen haben, hinterlässt es bei unseren Freunden aus Washington State den Eindruck, als gäbe es sehr große Wissenslücken in der Amerikanischen Gesellschaft, da das Thema wohl sehr oberflächlich behandelt wird. Unser Historiker, der uns begleitet hat, hat uns aber darauf hingewiesen, dass dies von Staat zu Staat unterschiedlich sein kann. Deshalb besteht die große Sorge, dass der Artikel der Journalist:innen in der USA nicht gut ankommt und ihnen möglicherweise nicht geglaubt wird. Viele Menschen außerhalb Europas wissen meist nur über den Holocaust Bescheid: der nationalsozialistische Völkermord an jüdischen Menschen aus Europa. Doch genau deshalb sind wir so dankbar, dass es überall auf der Welt so schlaue und engagierte Menschen gibt, die diese Erinnerungskultur umfangreich beibehalten wollen. Genau das sollten wir alle tun, genau deshalb setzen sich Frau Wellmann und Frau Timmer dafür ein, dass wir anderen Menschen dieses Thema näher bringen können.